30. September 2024


Spannender Fund – Flaschenpost aus dem Ersten Weltkrieg in der Fortifikation Hauenstein entdeckt

Foto: Christian Rieder

Ein zufälliger Fund an der Bölchen-Nordstrasse im September 2024 gewährt faszinierende Einblicke in das Leben der Soldaten während des Ersten Weltkriegs und beleuchtet die Herausforderungen des Alkoholkonsums in der Armee.

Bei den Hangsicherungs- und Strassenbauarbeiten zwischen Ober Bölchen und Chilchzimmersattel gelang eine bemerkenswerte Entdeckung: Eine Zeitkapsel aus dem Ersten Weltkrieg, über 100 Jahre alt, kam im September 2024 ans Tageslicht. In einer sorgfältig in eine Stützmauer eingemauerten Weinflasche fanden Arbeiter ein handgeschriebenes Dokument sowie eine Ausgabe des «Oberaargauer» vom 29. Juli 1916. Der Fundort der «Flaschenpost» liegt direkt beim Erinnerungspfad Erster Weltkrieg, der im Mai 2024 offiziell eröffnet wurde.

Dieser Fund ist ausserordentlich gut erhalten. Dank der schützenden Weinflasche sind sowohl das Dokument als auch die Zeitung vor Umwelteinflüssen bewahrt worden. Das Artefakt stellt eine faszinierende Momentaufnahme aus dem Jahr 1916 dar, als die Soldaten die Belchen-Nordstrasse weiter verstärken mussten – nicht nur wegen Hangrutschen, sondern auch, weil zwischenzeitlich schwere Motorfahrzeuge in der Armee Einzug hielten.

Blick auf die Fundstelle an der Belchen-Nordstrasse, die im Ersten Weltkrieg vom Militär zur Versorgung der Fortifikation Hauenstein angelegt wurde. Die Passstrasse verläuft beim Chilchzimmersattel auf 1000 m ü. M. durch einen Rutschhang. Vor der historischen Stützmauer von 1916, in der die Zeitkapsel entdeckt wurde, steht bereits die neu errichtete Stützmauer. Foto: Christian Rieder

Dank an die Finder

Der Verein Fortifikation Hauenstein bedankt sich herzlich bei Radisa Dobrosavljevic und Björn Adler, die den Fund gemacht, behutsam geborgen und gemeldet haben. Der Baumaschinenführer des 25 Tonnen schweren Baggers, Radisa Dobrosavljevic von der Strassen- und Tiefbaufirma Tozzo, entdeckte die «Flaschenpost» in etwa drei Metern Tiefe aus seiner Führerkabine. Das schwierige Gelände am Chilchzimmersattel, geprägt vom instabilen Opalinus-Ton und einem Rutschhang, macht die Arbeiten auch heute besonders anspruchsvoll. «Ohne die Aufmerksamkeit und Sorgfalt der Spezialtiefbauer wäre dieser Fund unentdeckt geblieben», betont Christian Rieder, Co-Kurator des Erinnerungspfads Erster Weltkrieg des Vereins Fortifikation Hauenstein.

Der Finder der Zeitkapsel Radisa Dobrosavljevic (im Bagger) mit Björn Adler von der Strassen- und Tiefbaufirma Tozzo (Vordergrund links) und Christoph Rast Fortifikation Hauenstein (rechts) Foto: Christian Rieder

Bau der Belchen-Nordstrasse im Ersten Weltkrieg: Handarbeit und Pferde als Transportmittel

Die Belchen-Nordstrasse, an deren Stützmauer die historischen Zeitdokumente entdeckt wurden, wurde während des Ersten Weltkriegs gebaut und bildete zusammen mit der Belchen-Südstrasse das Versorgungsrückgrat der Fortifikation Hauenstein in diesem strategisch wichtigen Abschnitt. Die Arbeiten an beiden Strassen erfolgten unter extremen Bedingungen und von Hand: Ohne moderne Maschinen, nur mit Äxten, Pickeln, Schaufeln und Pferdetransporten, wurde die Strasse in Serpentinen auf den Chilchzimmersattel hochgezogen.

Blick auf die im Ersten Weltkrieg im Bau befindliche Belchen-Nordstrasse. Am unteren rechten Bildrand liegt die Fundstelle. Hinter dem heutigen Ausflugsrestaurant «Oberbölchen» befindet sich eine grosse Geschützstellung, die bereits vier Wochen nach Kriegsausbruch als eine der ersten Anlagen der Fortifikation Hauenstein fertiggestellt und einsatzbereit war. Sie ist bis heute vollständig im Boden erhalten. Links im Hintergrund erkennt man den Walten, wo das gleichnamige Detachement alkoholkranker Soldaten stationiert war. Im Tal dazwischen verläuft heute die Autobahn A2 durch die Belchentunnels. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv (CH-BAR#E27#1000/721#14095#973*)

Ein Zeugnis militärischer Disziplin und des Alkoholverbots

Ein zentrales Thema des entdeckten Dokuments ist das rigorose Alkoholverbot, das 1916 im gesamten militärischen Sperrgebiet der Fortifikation Hauenstein galt. Dieses Verbot ist Teil einer grösseren Problematik, die sowohl das zivile Leben als auch die Armee betraf: Der Alkoholismus, insbesondere der weitverbreitete Konsum von «Härdöpfeler» (Kartoffelschnaps), stellte eine grosse Herausforderung dar. Bereits 1908 war Absinth – «la Fée Verte» – verboten worden, und im Ersten Weltkrieg wurde auch die Herstellung des «Härdöpfelers» gesetzlich untersagt, da Kartoffeln aufgrund von Lebensmittelknappheit als Nahrungsmittel dringend benötigt wurden.

Der übermässige Alkoholkonsum führte sowohl im Zivilbereich als auch in der Armee zu erheblichen Problemen. Disziplinarische Massnahmen wurden notwendig, um die Einsatzfähigkeit der Truppen sicherzustellen. General Ulrich Wille betonte mehrfach, dass ein Grossteil der kriegsgerichtlichen Bestrafungen auf Alkoholismus zurückzuführen war. Über 3000 Soldaten mussten aufgrund von «Säuferwahnsinn» aus dem Dienst entlassen werden – das entsprach der Stärke eines ganzen Regiments.

General Ulrich Wille (1848-1925), Oberbefehlshaber der Schweizer Armee im Ersten Weltkrieg, galt als überzeugter Anhänger preussisch-deutschen Soldatentums. Er erwarb sich den Ruf eines «Drillmeisters», da er in der Schweizer Milizarmee einen rigorosen Drill und strengste Disziplin nach preussischem Vorbild einführte. Sein Ziel war es, die Soldaten zu bedingungslosem Gehorsam und die Offiziere zu konsequenter Autoritätsausübung zu erziehen – Methoden, die auf erheblichen Widerstand stiessen. Auch sein verhängtes striktes Alkoholverbot sollte seinen Beitrag leisten, jeden einzelnen Soldaten «kriegsgenügend» zu machen. Ironischerweise wurde gelegentlich ihm selbst ein Alkoholproblem nachgesagt. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv (CH-BAR#E27#1000/721#14095#1128*)

Das Detachement Walten und die Soldatenstuben: Der Kampf gegen Alkohol in der Armee

Die Alkoholproblematik jener Kriegszeit war eng mit den Aktivitäten des sogenannten Detachements Walten verbunden, das im Gebiet der Fortifikation Hauenstein beim Walten stationiert war. Diese abgelegene Einrichtung, heute bekannt als Dietisberg Wohnen & Werken, diente der Rehabilitation von Soldaten, die aufgrund von Alkoholmissbrauch disziplinarisch auffällig geworden waren. Durch Entzug und disziplinierte Arbeit sollten sie vom Alkohol entwöhnt und wieder in Armee und Gesellschaft eingegliedert werden. «Heute wählt man Gott sei Dank einen sensibleren Ansatz», sagt Christoph Rast, Historiker bei der Fortifikation Hauenstein.

Auch die sogenannten Soldatenstuben, in denen das nun gefundene Dokument auf Briefpapier des Schweizerischen Verbands für Soldatenwohl verfasst wurde, waren alkoholfrei. Rund 1000 solcher Soldatenstuben, in denen die Soldaten ihre Freizeit verbringen konnten, entstanden während des Kriegs im ganzen Jurabogen.

Hauptverlesen beim Detachement Walten, das im Frühjahr 1915 gebildet wurde, um den Zivilarbeitern, die Gewohnheitstrinker waren, eine Heilung zu ermöglichen. Da Arrestmassnahmen keine Wirkung zeigten und eine Heimschickung das Problem verschlimmerte, bot Rudolf Sarasin, der Besitzer des leer stehenden Arbeiterheims Dietisberg, sein Haus für diesen Zweck an. Es standen zwei Schlafräume mit jeweils 30 Betten, ein Offizierszimmer, eine Essstube, eine Küche und ein Keller zur Verfügung. Das Haus lag «einsam, weit entfernt von jeder Trinkgelegenheit.» Ein abstinenter Offizier führte das Detachement, und abstinent lebende Soldaten der Zivilarbeiter-Detachemente wurden zur Unterstützung hinzugezogen. Der Konsum von Alkohol war im Detachement Walten selbstverständlich strikt untersagt, ebenso freier Ausgang. Oberstdivisionär Heinrich Schiess, Kommandant der Fortifikation Hauenstein, verfügte, dass dienstfreie Tage ausschliesslich für Spaziergänge oder zum Besuch von Vorträgen genutzt werden dürfen. Foto: Schweizerisches Bundesarchiv (CH-BAR#E27#1000/721#14095#4819*)

Historische Bedeutung des Fundes

«Es ist ein kleines Artefakt», sagt Christian Rieder. Aber es erlaube einen direkten Einblick in die damalige Zeit. «Es ist ein Stück Sozialgeschichte. Stück für Stück setzen wir das Puzzle der Fortifikation Hauenstein zusammen. Genau deshalb ist es wertvoll», betont Rieder. «Ohne die enge Zusammenarbeit im Vorstandsteam mit Christoph Rast, Diego Sonderegger, Pascal Ryf, Andrea Tschanz und Lorenz Degen wäre eine Vermittlung der Erkenntnisse allerdings nicht möglich.»

Das handgeschriebene Dokument, verfasst von Wachtmeister Herrmann, Bauaufseher im Jahr 1916 in der Fortifikation Hauenstein, erlaubt tatsächlich einen faszinierenden Einblick in die Disziplin und den Alltag der Soldaten. Besonders die Erwähnung des Alkoholverbots spiegelt die strengen Vorgaben wider, die unter General Ulrich Wille im Schweizer Militär während des Ersten Weltkriegs herrschten. Es lautet:

«Diese Mauer wurde erstellt im Kriegsjahr 1916 vom 4ten Zug IComp Batl 139. In diesen Augusttagen müssen alle Mannen schwitzen. Keiner darf sich drücken und am Schatten sitzen. Aller Alkoholverbrauch ist strenge untersagt. Und dies zu übertreten, hat keiner je gewagt. Der Bauaufseher, Wachtm. Herrmann.»

Dieser kurze Text verdeutlicht die rigorosen Anforderungen an die Soldaten, die schlecht ausgerüstet in der Sommerhitze und unter harten Bedingungen arbeiteten. Das Alkoholverbot und die strenge Disziplin waren damals von zentraler Bedeutung, da das Militär das Problem des weitverbreiteten Alkoholmissbrauchs unter Kontrolle bringen musste. Der Inhalt des Dokuments unterstreicht, wie stark diese Massnahmen auch im Alltag der strapazierten Soldaten präsent waren. Sie leisteten im Ersten Weltkrieg rund anderthalb Jahre Dienst zur Verteidigung des Landes – ohne Erwerbsersatz.

Zeitung «Der Oberaargauer» vom 29. Juli 1916
Jede Zeitkapsel enthält ein Dokument, das den Zeitpunkt ihrer Versiegelung festhält. Im Fall der Weinflasche vom Hauenstein handelt es sich um die damalige Ausgabe der Zeitung «Der Oberaargauer». Digitalisat von Christian Rieder

Nächste Schritte

Der Fund wird in den kommenden Tagen unter anderem dem Historischen Museum Olten, das die grösste Sammlung zur Fortifikation Hauenstein hütet, zur Begutachtung vorgelegt.

«Wir hoffen, durch weitere Recherchen mehr über Wachtmeister Herrmann und seine Nachfahren zu erfahren», so Historiker und Co-Kurator des Erinnerungspfads in der Fortifikation Hauenstein, Christoph Rast. Der Verein plant, die Nachkommen des Bauaufsehers ausfindig zu machen, um mehr über die persönliche Geschichte dieses Mannes zu erfahren, der uns mitten im Ersten Weltkrieg eine Zeitkapsel hinterlassen hat.

Anschliessend wird der Fund im Staatsarchiv Basel-Landschaft fachgerecht konserviert, um seine langfristige Erhaltung zu gewährleisten.

Informationstafel Erinnerungspfad Erster Weltkrieg oberhalb der Fundstelle der Zeitkapsel an der Belchen-Nordstrasse | Foto: Christian Rieder

Pressestimmen

Flaschenpost aus dem Ersten Weltkrieg

Bei der ehemaligen Verteidigungsanlage Hauenstein im Baselbieter Jura wurde ein Brief aus dem Jahre 1916 gefunden. Ein Wachtmeister der Schweizer Armee namens Herrmann hat ihn verfasst: «Diese Mauer wurde erstellt im Kriegsjahr 1916 vom 4ten Zug IComp Batl 139.» Herrmann hat den Brief in eine Weinflasche gesteckt und hat diese so gut verschlossen, dass das Papier bis heute erhalten geblieben ist. Der Brief schreibt auch vom Alkohol, von dem viele Soldaten auf dem Hauenstein wohl gerne mehr genossen hätten. (Quelle: SRF)


Basler Zeitung | Tages-Anzeiger | Der Bund | Berner Zeitung
Zeitkapsel aus dem Ersten Weltkrieg wirft Licht auf das Leben der Soldaten
Ein zufälliger Fund an der Belchen-Nordstrasse gewährt faszinierende Einblicke in das Leben der Soldaten während des Ersten Weltkriegs.

bz Basel | St. Galler Tagblatt
Seltener Fund: Flaschenpost aus dem Ersten Weltkrieg auf dem Hauenstein entdeckt
Auf dem Hauenstein ist bei Bauarbeiten eine Flaschenpost aus dem Ersten Weltkrieg gefunden worden. Die Botschaft darin ist kurz, sie sagt aber viel aus über die damalige Zeit.

20minuten
Bauarbeiter stossen auf Flaschenpost aus dem Ersten Weltkrieg
1916 vergrub Wachtmeister Hermann in der Fortifikation Hauenstein einen Brief. Über hundert Jahre später birgt ein Baumaschinenführer die Zeitkapsel, die einen spannenden Einblick in die damalige Zeit bietet.

SRF news
Spezieller Fund: Zeitkapsel gibt Einblick ins Soldatenleben im 1. Weltkrieg
Der Fund einer sogenannten Zeitkapsel aus dem Jahr 1916 im Baselbiet zeigt den Alltag der Soldaten und ihre Probleme.

Oltner Tagblatt | Luzerner Zeitung
«Aller Alkoholverbrauch ist strenge untersagt»: Eine Flaschenpost aus dem Ersten Weltkrieg wird bei Bauarbeiten auf dem Hauenstein gefunden
Bei Bauarbeiten ist eine Zeitkapsel aus dem Ersten Weltkrieg gefunden worden. Die Botschaft darin ist kurz, sie sagt aber viel aus über die damalige Zeit und die Geschichte der Region Olten.

Baseljetzt (Telebasel)
Zeitkapsel-Fund zeigt Alkoholprobleme der Armee im Ersten Weltkrieg
Während Bauarbeiten am Hauenstein stiessen Arbeiter auf eine über 100 Jahre alte Zeitkapsel aus dem Ersten Weltkrieg. Diese enthält Dokumente, die den problematischen Alkoholkonsum der damaligen Armee beleuchten.

Volksstimme
Stimme aus der Vergangenheit
Bauarbeiter finden im Bölchengebiet eine Zeitkapsel aus dem Jahr 1916. Es handelt sich um eine Weinflasche, worin sich eine Zeitung aus jener Zeit sowie ein handschriftlicher Zettel befindet.

Wachtmeister Herrmanns Zeitkapsel-Dokument
Das Dokument von Wachtmeister Herrmann, geborgen aus der improvisierten Zeitkapsel im September 2024. Bei genauem Hinsehen entpuppt es sich als Gedicht. Die Faltspuren, deutlich sichtbar, entstanden durch das Zusammenrollen des Briefpapiers, als Herrmann es im August 1916 durch den engen Flaschenhals der Weinflasche schob. Auch die beigelegte Zeitung weist ähnliche Spuren auf, da sie ebenfalls von ihm zusammengerollt wurde. Digitalisat von Christian Rieder